Der Druck auf Wolodymyr Selenskyj steigt weiter – und diesmal kommt er aus einer Richtung, die besonders weh tut. Nachdem ein Korruptionsskandal die Regierung erschütterte, musste Selenskyj seinen mächtigen Präsidialamtschef Andrij Jermak entlassen. Doch kaum war dieser politische Brand gelöscht, entzündete sich der nächste: Ein Mann, dessen Wort in der Ukraine Gewicht hat wie kaum ein anderes, spricht nun etwas aus, das Selenskyj seit Jahren verfolgt – die Frage nach der fehlenden Vorbereitung auf den russischen Großangriff 2022.
Walerij Saluschnyj, von 2021 bis 2024 oberster Militärkommandeur und Gesicht des ukrainischen Verteidigungskampfes, rechnet in einem Gastbeitrag für den britischen Telegraph ungewöhnlich offen mit der Führung in Kiew ab. Der heute als Botschafter in London tätige Ex-General schreibt: "Ich wurde im August 2021 zum Oberbefehlshaber ernannt. (…) Russland stockte seine Truppen Jahr für Jahr massiv auf, erhöhte sein Militärbudget, investierte in Waffen, Ausrüstung und Industrie. In der Ukraine hingegen passierte das Gegenteil. 2021 wurde uns weniger Geld zur Verfügung gestellt als im Vorjahr. Unsere Armee ging mit einem dramatischen Mangel an allem – Personal, Waffen, Ausrüstung – in die Invasion.“ Der unausgesprochene Vorwurf dahinter ist unüberhörbar: Während der Kreml den Angriff längst vorbereitete, habe die ukrainische Regierung zu wenig getan, um das Land rechtzeitig zu rüsten.